Halbjüdin und Internierte
Zu den ersten Luxuserlebnissen nach dem 2. Weltkrieg zählte ein Besuch in der Eisdiele Pick. Doch gerade die Memminger Jugend hatte wenig Kenntnis, welche Schicksale sich hinter dem Namen Pick verbargen.Der jüdische Kaufmann Hermann Pick und seine Frau Ida, eine evangelische Brauerstochter aus Augsburg, hatten in der Kramerstraße 12 ein Geschäft übernommen, wo sie Kurzwaren, Kleiderstoffe und Bettwäsche verkauften. Zwei Kinder, Edgar und Paula, erlebten in dieser wohlhabenden Familie eine schöne Kindheit. Paula, geboren am 12.03.1914, wurde nach der Höheren Töchterschule nach Stuttgart ins Geschäft der Großmutter geschickt, da sie den Laden der Eltern übernehmen sollte.
Als Halbjüdin spürte Paula im Nationalsozialismus den steigenden Antisemitismus und wollte deshalb ihr Glück als Au-pair-Mädchen in England versuchen.
1934 bekam sie dort eine Stelle und lernte auch ihren englischen Freund kennen. Da viele Deutsche damals schon nach Kanada interniert wurden, sollte eine Verlobung auch ein „Schutzbrief“ gegen eine Ausweisung sein. Dennoch wurde Paula 1940 auf der Isle of Man interniert. Nur von einer Mitgefangenen erfuhr sie, dass ihr Verlobter verstorben war. Damals konnten Internierte über das Rote Kreuz die Rückkehr nach Deutschland beantragen. Auf diesem Weg kehrte Paula im Herbst 1944 zurück.
In Memmingen waren Geschäft und Wohnung der Familie in der Pogromnacht 1938 verwüstet worden. Glücklicherweise war das Ehepaar Pick nicht zu Hause gewesen. Hermann tauchte in Freiburg unter und Ida fand nach der Enteignung eine Stelle in Oberstdorf.
Irgendwie gelang es ihr, ihren kranken und erblindeten Mann noch während des Krieges zu sich zu holen.
Nach Kriegsende arbeitete Paula bei den Amerikanern als Dolmetscherin.
Ab 1956 wohnten sie und ihre Mutter wieder in der Kramerstraße. Paula arbeitete bei ihrem Bruder in der Eisdiele und pflegte ihre Mutter bis zum Tod. Danach lebte sie weiterhin sehr zurückgezogen und menschenscheu in der Kramerstraße. Am 17. Oktober 2000 verstarb Paula Pick und wurde in Augsburg beigesetzt. Die Todesanzeige schrieb: So still wie sie lebte, ist sie von uns gegangen.
Gertrud Schiffelholz