Portraits

Lotte Lore Michaelis (1913 – 2013)

Lotte Lore Michaelis

Ich wäre so gerne in Memmingen alt geworden

An ihrem 100. Geburtstag nahm sie sichtlich gerührt Blumenstrauß und Glückwunschschreiben des Memminger Oberbürgermeisters entgegen. Sie betonte ihre Freude in immer noch deutlich memmingerisch gefärbtem Deutsch. Besonders berührt war sie beim Händedruck der zwei jungen Memminger, längst Freunde ihrer Großneffen und der Großnichte. Mit dieser Freundschaft hat sich für die ehemalige Memminger Jüdin der Kreis zur immer noch geliebten Heimat geschlossen.
Am 15. November 1913 in der Memminger Kalchstraße geboren, auf Wunsch der Eltern von einem streng katholischen Kinderfräulein erzogen, in der Höheren Töchterschule erstmals mit der englischen Sprache, die sie nie mochte, vertraut gemacht, arbeitete sie anschließend im Textileinzel- und Großhandel des Vaters – nur weil dieser darauf bestand. Ihr Wunsch, Kinderkrankenschwester, erfüllte sich erst viel später in London.

Nach der Pogromnacht, in der auch die Wohnung der Familie Guggenheimer stark beschädigt wurde, ermöglichte Julius Guggenheimer Sohn und Tochter die Flucht nach England. Dort höchst unwillkommen, übernahm Lotte-Lore Haushaltsarbeiten, die sie nie vorher geschätzt und erlernt hatte. Nach harten Jahren erreichte sie einen Ausbildungsplatz in einem Kinderkrankenhaus. Die alsbaldige Heirat mit einem aus Berlin geflohenen Juden musste sie verheimlichen.

Während ihrer Berufstätigkeit wurde sie ob ihres großen Engagements gelobt und ausgezeichnet. Nach der Scheidung arbeitete sie als Rentnerin mit einem weit überdurchschnittlichen Engagement ehrenamtlich in vielen Bereichen weiter. Dafür wurde sie im Jahr 2000 mit dem Titel „Frau des Jahres im sozialen Bereich“ von der Stadt Bradford bedacht und öffentlich geehrt. Noch vor dem 101. Geburtstag starb Lotte-Lore Michaelis, in England Lola genannt.

Erika Gäble